Seit über einem Jahr sitzt die ehemalige baskische Gemeinderätin Nekane Txapartegi in der Schweiz in Auslieferungshaft. Nun sind die Entscheide im Auslieferungs- und Asylverfahren endlich gefällt. Am 22. März hat das Bundesamt für Justiz (BJ) die Auslieferung bewilligt, am 24. März folgte der negative Asylentscheid des Staatssekretariates für Migration (SEM). Gegen beide Entscheide hat Txapartegi Rekurs eingelegt.
(augenauf-Bulletin Nr. 93 Juni 2017)
Das Auslieferungs- und das Asylverfahren sind koordiniert worden und die Entscheide folgen in den Grundlinien derselben Argumentation. Offensichtlich hat man zuerst die grundsätzliche Frage behandelt, ob Spanien ein funktionierender Rechtsstaat ist bzw. zur Zeit der Verhaftung der Baskin 1999 war. Dies wurde bejaht. Insbesondere die Frage, ob zu dieser Zeit systematisch gefoltert wurde, wurde in den Begründungen ausführlich behandelt. Leider geht die Frage jedoch gänzlich am Thema vorbei. Denn es interessiert ausschliesslich, ob Txapartegi während der Verhöre der Guardia Civil gefoltert wurde und die Verurteilung dementsprechend auf einem erzwungenen Geständnis basiert.
Die Behörden entschieden grundsätzlich, dass Spanien nicht foltert. Und auf diesen «Grundsatzentscheid» stützten sie ihre Argumentation trotz der vielen sehr starken Beweise für Folter, die Txapartegis Rechtsvertretung dieses Jahr gesammelt und eingereicht hatte. Dafür wendeten SEM und BJ hauptsächlich drei Methoden an: als unwesentlich herabwürdigen, Pseudowidersprüche herausarbeiten, und wenn das nicht geht, einfach ignorieren.
Das Bundesamt für Justiz verfälscht und ignoriert
Das BJ erkennt zwar an, es sei «nicht unmöglich, dass Fälle von Folter oder Misshandlung durch die spanischen Behörden verübt wurden». Allerdings habe man keine «Information betreffend Wahrscheinlichkeit und Ausmass dieser Fälle». Die ausführlichen Untersuchungen der baskischen Behörden wurden schlicht unterschlagen. Das führt zum Schluss, dass «angenommen werden kann, dass diese Fälle nur sehr selten vorkamen». Begründet wird dies vor allem mit der geringen Anzahl von spanischen Beamten, die wegen Folter oder Misshandlungen verurteilt wurden.
Die Häufigkeit von Folter aufgrund von entsprechenden Verurteilungen zu beurteilen, ist absurd und belegt die grundsätzliche Annahme des BJ, es handele sich bei Spanien um einen tadellosen Rechtsstaat. Die Aussagen des ehemaligen UN-Sonderberichterstatters für Folter, der die weitgehende Inexistenz von Untersuchungen bei Foltervorwürfen beklagt, werden einfach ignoriert. Doch das BJ wird noch abenteuerlicher: Es kritisiert einen Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarats, weil dieser die Behauptung Spaniens nicht berücksichtige, dass Foltervorwürfe eine systematische Taktik der ETA-Unterstützer_innen seien. Richtig frech wird das BJ danach noch mit einem Zitat des ehemaligen UN-Sonderberichterstatters für Folter: «Der Sonderberichterstatter folgert, dass Folter oder Misshandlung in Spanien nicht systematisch ist.» Der zweite Teil des Satzes wird dabei einfach weggelassen: «aber dass das angewandte System erlaubt, dass Folter oder Misshandlungen vorkommen, insbesondere bei Personen, die in Incomunicado-Haft festgehalten werden, in Verbindung mit Aktivitäten mit Bezug zu Terrorismus». Das tönt doch gleich anders.
Auch mit verschiedenen, von Txapartegis Anwälten eingereichten Gutachten ist äusserst arrogant verfahren worden: Das auf dem Istanbul-Protokoll basierende Gutachten etwa (s. augenauf-Bulletin Nummer 92) stütze sich auf alte Akten und sei lediglich eine Interpretation von Wahrscheinlichkeiten und somit Ausdruck einer persönlichen Meinung. Das Bundesamt für Justiz nimmt das Istanbul-Protokoll schlicht nicht zur Kenntnis.
Wenn der Pflichtverteidiger mit der Guardia Civil …
Um die Qualität des Asylentscheids steht es nicht besser. Die Erläuterungen werden mit dem Hinweis eingeleitet, dass der Bundesrat Spanien 2003 als verfolgungssicheren Staat bezeichnet hat. Danach folgt eine seitenlange Abhandlung über die Aktivitäten der ETA seit ihrer Gründung. Anschliessend wird festgestellt, dass Nekane Txapartegi wegen Unterstützung der ETA verurteilt worden sei. Aufgrund der spanischen Akten werden das Verfahren gegen Txapartegi sowie die Untersuchung der Foltervorwürfe durch die spanischen Behörden zusammengefasst. Das SEM folgt dabei einfach der Einschätzung des Verfolgerstaates: sämtliche Vorwürfe seien nicht belegt. Die Baskin habe während der Verhöre immer einen Pflichtverteidiger zur Seite gehabt und habe täglich einen Gefängnisarzt gesehen.
In Wirklichkeit war bei jeder Vernehmung ein anderer Pflichtverteidiger anwesend, der sich jeweils zu den Beamten der Guardia Civil gesellte. Nekane Txapartegi war es verboten, sich mit ihrem Anwalt zu unterhalten. Doch diese Tatsachen scheinen das SEM nicht zu stören. Auch die damals gewährte medizinische Betreuung erachtet die Asylbehörde als tadellos, obwohl sogar falsche Diagnosen nachweisbar sind. Ein Arzt beschrieb Flecken an den Beinen der Gefangenen als «wahrscheinlich Schmutz». Nach dem Geständnis notierte ein anderer Arzt, dass es sich um Hämatome handelte. All dies geschah während der Incomunicado-Haft, die jegliche Kontakte zu Familie, Anwalt oder Arzt des Vertrauens verbietet. Dazu sagt das SEM, es hätten ja dauernd Kontaktmöglichkeiten bestanden, zu den Pflichtverteidigern, den Gerichtsärzten, Justizpersonen und Gerichtsschreibern. Erstaunlich, dass die Beamten der Guardia Civil nicht auch noch aufgelistet sind.
Die Schweiz als willige Komplizin des Verfolgerstaates
Nach 20 Seiten Bekräftigung des Glaubens an die spanische Justiz werden die von der Asylanwältin eingereichten Akten behandelt: Dafür reicht eine gute A4-Seite. Die Berichte vom Europarat und den zuständigen Uno-Gremien sowie die Urteile von Strassburg werden insgesamt als irrelevant beurteilt. Das SEM interpretiert etwa die Tatsache, dass Txapartegi gegen das Urteil nicht weiter rekurrierte, so, dass sie sich «aus rechtlicher Sicht mit diesem einverstanden erklärte». Dabei ist das von den Asylspezialist_innen erwähnte Verfassungsgericht gar nicht zuständig und durch Txapartegis Flucht war eine Beschwerde beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unmöglich. Hinsichtlich des Verfahrens zur Untersuchung der Foltervorwürfe meint das SEM grosszügig, es könne offen gelassen werden, ob dies menschenrechtskonform war.
Auf den Punkt gebracht wird die Argumentation am Ende mit der Bemerkung, es sei für das SEM «unvorstellbar», dass sich zahlreiche Beamte der Guardia Civil, Untersuchungsrichter, weiteres Personal von Justiz und Gefängnissen und die von den Behörden eingesetzten Pflichtverteidiger verschworen hätten, um die Folter zu decken. Die Tatsache, dass Spanien schon mehrfach genau deshalb in Strassburg verurteilt wurde, befindet sich offensichtlich ausserhalb des hiesigen Vorstellungshorizontes.
Die Beamt_innen des SEM wie auch des BJ zeigen mit ihren Entscheiden vor allem eines: die absolute Unfähigkeit, die vorliegenden, gut dokumentierten Foltervorwürfe unvoreingenommen zu beurteilen. Jeder Tag Auslieferungshaft ist letztendlich ein Erfolg für Spanien, das ja genau das mit dem Auslieferungsverfahren bezweckt. Die Schweiz macht sich dabei zur Handlangerin und willigen Komplizin.
augenauf Zürich
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Die schludrige Untersuchung der Foltervorwürfe in Spanien
Das Bundesamt für Justiz (BJ) und das Staatssekretariat für Migration (SEM) stellen sich auf den Standpunkt, Spanien habe die Foltervorwürfe sorgfältig genug untersucht. Schon eine kurze Zusammenfassung des Ablaufs zeigt, dass das nicht stimmt:
Nekane Txapartegis Anwälte reichen Mitte Juni 1999 eine Anzeige ein. Während der ersten zehn Monate wird das Dossier acht Mal zwischen verschiedenen Gerichten hin- und hergeschoben, ohne dass eine Untersuchung stattfindet. Im Mai 2000 erachtet sich endlich ein Untersuchungsrichter in Madrid für zuständig und fordert vom für das Strafverfahren bevollmächtigten Gericht die Akten an. Diese werden acht Monate später, im Januar 2001, zugestellt. Im Juni stellt er das Verfahren ein, ohne die Klägerin nur einmal angehört zu haben.
Wegen einer «administrativen Panne» erfährt Txapartegi erst 2005 von der Einstellung. Ihr Rekurs führt zu einer Wiedereröffnung der Untersuchung. Die Klägerin wird im Januar 2006, fast sieben Jahre nach der Folter, einvernommen. Ein Beschuldigter wird anonym per Video angehört und beantwortet keine einzige Frage der Anwälte Txapartegis. 2009 wird das Verfahren wieder eingestellt. Gemäss BJ entspricht dieses Verfahren den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das Bundesamt widerspricht damit diametral den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg.
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augenauf-Bulletin Nr. 93 Juni 2017 als PDF: