NZZ: Uno-Berichterstatter für Folter interveniert im Fall Txapartegi

Spanien fordert, dass eine mutmassliche ETA-Aktivistin ihre Strafe in ihrer Heimat verbüsst. Doch sie erhebt schwere Foltervorwürfe gegen ihr Land. Der Fall entwickelt sich nicht nur in juristischer Hinsicht zum heissen Eisen. (Daniel Gerny )
Die Baskin wurde in Spanien wegen der Unterstützung der Untergrundorganisation ETA verurteilt. (Bild: Vincent West / Reuters)

Die Baskin wurde in Spanien wegen der Unterstützung der Untergrundorganisation ETA verurteilt. (Bild: Vincent West / Reuters)

Nekane Txapartegi, die frühere baskische Politikerin und Aktivistin, die seit einem Jahr im Frauengefängnis Dielsdorf in Auslieferungshaft sitzt, verfügt über clevere Berater mit Gespür für die Meinungspflege: Am Mittwoch traten ihre beiden Anwälte in Zürich vor die Medien, um den Entscheid über die Auslieferung ihrer Mandantin zu zerpflücken. Das Bundesamt für Justiz hatte Ende März entschieden, die Baskin an Spanien auszuliefern, obwohl diese behauptet, in ihrem Heimatland gefoltert worden zu sein. Damit ist der Fall aber längst nicht beendet: Txapartegi zieht den Entscheid vor Bundesstrafgericht. Es kann Jahre dauern, bis der gesamte Instanzenzug abgeschlossen ist. Txapartegis Anwälte wissen: Die öffentliche Wahrnehmung kann in einem derart heiklen Prozess entscheidenden Einfluss haben.

Ein Affront gegenüber Spanien

Heikel ist die Angelegenheit vor allem, weil der Foltervorwurf in diesem Fall nicht leichtfertig als blosse Schutzbehauptung abgetan werden kann. Auf 68 Seiten versucht das Bundesamt für Justiz, Txapartegis Argumente zu entkräften, wonach diese ihr Geständnis, für die Terrororganisation ETA zu arbeiten, nur unter Folter abgelegt habe. Aber trotz Widersprüchen in Txapartegis Aussagen gibt es glaubwürdige Hinweise auf Folter, unter anderem zwei Expertisen, die auf Basis des Istanbul-Protokolls erstellt worden sind. Das sogenannte Istanbul-Protokoll ist der Uno-Standard zur Untersuchung von Foltervorwürfen. Doch Spanien die Auslieferung mit Hinweis auf angebliche Folter zu verweigern, käme einem Affront gegenüber einem befreundeten Rechtsstaat gleich. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass die Sache die Behörden ins Schwitzen bringt.

Nun steigt bald der Druck auf die Schweiz zusätzlich: Der Uno-Sonderberichterstatter für Folter hat sich vergangene Woche in einem dringenden Aufruf an die Schweiz gewendet. Dies bestätigte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gegenüber der NZZ. Amtsinhaber ist seit 1. November 2016 der Schweizer Jurist Nils Melzer. Der Sonderberichterstatter greift unter anderem individuelle Fälle auf und appelliert an den jeweiligen Staat, eine drohende Folter abzuwenden oder Vorgänge zu untersuchen. Auf Anfrage der NZZ wollte sich Melzer zum konkreten Fall nicht äussern.

Solche Interventionen gegen die Schweiz in einem konkreten Einzelfall sind selten. In den letzten zehn Jahren ist dies laut EDA nur noch in zwei anderen Fällen vorgekommen. Überraschend kommt die Intervention jedoch nicht: So hatte sich Melzers Vorgänger, der Argentinier Juan Mendez, im Juli letzten Jahres in einem Zeitungsinterview kritisch zum Umgang Spaniens bei der Aufarbeitung von Folter im Baskenland geäussert. Auch Amnesty International wirft den spanischen Behörden vor, Foltervorwürfe nachlässig oder gar nicht zu untersuchen.

Glaubwürdigkeit im Zentrum

Melzer selber erklärte unlängst gegenüber der NZZ, an den Nachweis der Folter dürfe kein hoher Anspruch gestellt werden: «Folteropfer sind in der Regel schwer traumatisiert und nur selten zu widerspruchsfreien Aussagen fähig.» Zweifel an der Glaubwürdigkeit Txapartegis sind aber der Hauptgrund für die Zustimmung des Bundesamtes für Justiz zur Auslieferung der Baskin.

Rein rechtlich hat die Intervention vorerst wenig Folgen: Melzer kann die Schweiz weder zu einem bestimmten Entscheid noch zu einem konkreten Vorgehen zwingen. In der Regel erhält der betroffene Staat 60 Tage Zeit, um auf den Appell zu reagieren. Das hat die Schweiz bereits getan. Laut EDA wird in dem Antwortschreiben erklärt, dass die internen Rechtswege noch nicht ausgeschöpft seien und sich die Schweizer Regierung noch nicht zu rechtskräftigen Entscheiden äussere.

Jetzt liegt der Ball beim Bundesstrafgericht, das in nächster Instanz entscheiden muss. In diesem ohnehin schwer durchschaubaren Fall geht es nach der Intervention nicht mehr nur um die Glaubwürdigkeit von Txapartegi: Folgt das Gericht dem Bundesamt für Justiz, bliebe ihm nichts anderes übrig, als die Bedenken des Uno-Sonderberichterstatters zu übergehen. Das ist auch deshalb unangenehm, weil das Urteil bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weitergezogen werden kann. Wie auch immer die Schweiz entscheidet – es bleibt ein unangenehmer Nachgeschmack.