Warum die Schweiz Nekane Txapartegi nicht ausliefern kann

Wenn die Schweiz die Auslieferung verweigert, gefährdet sie ihre politischen Beziehungen mit Madrid. Ein Risiko, das andere Staaten bereits eingegangen sind: Belgien hat die Auslieferung einer baskischen Staatsangehörigen an Spanien aus ähnlichen Gründen verweigert. Wenn die Schweiz die Auslieferung bewilligt, setzt sie sich der ernsten Gefahr einer Verurteilung durch das UN Anti-Folterkomitee oder den EGMR aus, die sich nicht davor scheuen zu anerkennen, dass im Untergeschoss von Madrid gefoltert wird.


Die Realität der Folter im Baskenland

Tausende von Basken wurden von spanischen Polizisten und Soldaten als Folge der antiterroristischen Politik der spanischen Regierung gefoltert. Die Reaktion der Gerichte und die Straflosigkeit, von der die Polizei und das Militär profitieren, werden systematisch von internationalen Organisationen kritisiert.[1] Immer wieder werden sie durch internationale Gerichte verurteilt.[2] Die von der baskischen Regionalregierung eingesetzte Untersuchungskommission hat die Tragweite des Problems bestätigt und festgestellt, dass mehr als 5000 Fälle von Folter zwischen 1960 und 2013 bewiesen sind.[3] Schliesslich haben auch spanische Richter in den Medien anerkannt, dass es in den Terrorismusverfahren zu „Exzessen“[4] und Folterpraktiken[5] kam.

Die von Nekane Txapartegi erlittene Folter

Unter den Fällen in dem Bericht der baskischen Regierung ist auch der Fall von Nekane Txapartegi.[6] Nach ihrer Verhaftung durch die Guardia Civil wurde Nekane Txapartegi nach Madrid gebracht. Auf dem Weg dorthin wurde sie in einen Wald geführt, wo man ihre Exekution simulierte. Während der Autofahrt wurde ihr ein Plastiksack über den Kopf gezogen und sie wurde mehrfach geschlagen und hatte das Gefühl, fast zu ersticken.[7] Die Schläge und Erstickung wurden auch nach der Ankunft im Kommissariat der Guardia Civil fortgeführt. Während der fünf Tage von Verhören und Folter wurde sie nackt ausgezogen, geschlagen, durfte kaum schlafen und wurde vergewaltigt und sexuell belästigt. Die Gewalttaten fanden vor und nach den Verhören statt und wurden immer heftiger, je länger sich Frau Txapartegi weigerte, von der Guardia Civil vorbereitete Aussagen zu bestätigen.

Beweise für die Folter

Vor dem Untersuchungsrichter und auch später, durch eine Anzeige gegen die Folter, denunzierte Frau Txapartegi die erlittene Folter. Trotz Verzögerungen und Mängeln im spanischen Untersuchungsverfahren konnte Frau Txapartegi zahlreiche Unterlagen sammeln, die die Wahrheit ihrer Aussagen belegen. Zusätzlich zu ihren eigenen wiederholten und konsistenten Denunzierungen liegen folgende weitere Belege für die Folter vor: die Zeugenaussage von Mikel Egibar Mitxelena, der zu derselben Zeit verhaftet und an demselben Ort gefoltert wurde, und der aussagt, die Schreie von Frau Txapartegi gehört zu haben;[8] ein medizinischer Bericht, erstellt beim Eintritt ins Gefängnis, der das Vorliegen zahlreicher Verletzungen nach dem Transfer aus dem Verhörkeller der Guardia Civil belegt;[9] die Zeugenaussage von Maria Lourdes Txurruka, die den verheerenden Zustand von Frau Txapartegi nach ihrer Ankunft im Gefängnis beschreibt;[10] ein psychiatrischer Bericht, der bestätigt, dass sie heute noch an einer post-traumatischen Belastungsstörung leidet;[11] sowie die Abwesenheit jedwelcher vertretbaren Erklärung für diese Belege durch die Regierung. Der von der Regierung eingesetzte Rechtsmediziner hat ausserdem bezeugt, dass Frau Txapartegi „mit Sicherheit“ gefoltert wurde.[12] Diese Belege zeigen zudem auf, dass die Folter während der incommunicado Haft stattfand, und zwar in dem Moment, als sie die Aussagen machte, welche zu ihrer Verurteilung führten.

Die Bedeutung der Folter für das Auslieferungsverfahren

Der Beweis von Folter ist ein entscheidender Faktor im Auslieferungsverfahren: gemäss der Anti-Folterkonvention (Art. 15 CAT)[13] und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 Ziff. 2 EMRK)[14] ist es nicht zulässig, einem Auslieferungsantrag stattzugeben, wenn dieser sich auf Aussagen stützt, bei denen eine konkrete Gefahr besteht, dass sie durch Folter erlangt wurden.

Wie bereits dargelegt bestätigen zahlreiche Beweise, dass die Aussagen, auf denen die Verurteilung von Nekane Txapartegi beruht, unter Folter gemacht wurden. Diese Beweise wurden dem Bundesamt für Justiz zugestellt, das nun zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss:

  • Die Auslieferung verweigern und Frau Txapartegi aus der Haft entlassen, in der Anerkennung ihrer Rolle als Opfer von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen.
  • Die Auslieferung bewilligen, in Verletzung der Verpflichtungen der Antifolter-Konvention und der EMRK

Schlussbemerkung

Wenn die Schweiz die Auslieferung verweigert, gefährdet sie ihre politischen Beziehungen mit Madrid. Ein Risiko, das andere Staaten bereits eingegangen sind: Belgien hat die Auslieferung einer baskischen Staatsangehörigen an Spanien aus ähnlichen Gründen verweigert.[15] Wenn die Schweiz die Auslieferung bewilligt, setzt sie sich der ernsten Gefahr einer Verurteilung durch das UN Anti-Folterkomitee oder den EGMR aus, die sich nicht davor scheuen zu anerkennen, dass im Untergeschoss von Madrid gefoltert wird.

Olivier Peter, Rechtsanwalt

[1] Siehe die Liste der Berichte von internationalen Organisationen im Dossier.

[2] Siehe die Liste der Verurteilungen durch internationale Instanzen im Dossier.

[3] http://www.eitb.eus/es/noticias/politica/videos/detalle/3835148/videoel-equipo-paco-etxebarria-recoge-5000-denuncias-torturas/

[4] Interview mit dem ehemaligen Instruktionsrichter, Balthazar Garzon, erschienen in der Tageszeitung Publico, 27. Juni 2015.

[5]El juez De Prada desnuda la AN”, Artikel erschienen in der Tageszeitung GARA, 15.4.2016.

[6] Bescheinigung von Francisco Etxebarria Gabilondo, Kriminologisches Institut des Baskenlandes, 13.4.2016.

[7] Strafanzeige von Nekane Txapartegi, 15.06.1999.

[8] Schriftliche Erklärung von Mikel Egibar Mitxelena, 13.06.2016.

[9] Arztbericht aus dem Gefängnis Soto del Real, 07.03.2001.

[10] https://freenekane.noblogs.org/nekanes-aussage-vor-gericht-zur-folter/

[11] Artzbericht von Dr. Mario Gmür, 3. Juni 2016

[12] Bescheinigung von Francisco Etxebarria Gabilondo, Kriminologisches Institut des Baskenlandes, 13.4.2016.

[13] Entscheid des UN Anti-Folterkomitees, Orkatz Gallastegi Sodupe gg. Spanien (CAT/C/48/D/453/2011), § 7.4.

[14] Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Othman (Abu Qatada) gg. Vereinigtes Königreich, §§ 263-267.

[15] Urteil der Anklagekammer des Berufungsgerichts Gent, 31.10.2013 und Urteil des belgischen Berufungsgerichts vom 19.11.2013, in dem die Auslieferung der baskischen Flüchtenden, Natividad Jauregi Espina, verweigert wird.