Nekane Txapartegi sitzt in Auslieferungshaft in Dielsdorf. Der spanische Staat verurteilte sie wegen Unterstützung der baskischen Terrororganisation ETA. Doch es gibt Berichte über Folter in spanischen Untersuchungsgefängnissen – nun musste sich auch der Bundesrat dazu äussern.
von Tim Rüdiger
Die Frage lässt aufhorchen. Letzte Woche wollte Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne) vom Bundesrat wissen, ob er über Foltervorwürfe gegen den spanischen Staat sowie mehreren Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Kenntnis sei. Er fragte auch, ob die Schweiz in der Rechtshilfe davon ausgehe, dass Spanien die Antifolterkonvention immer eingehalten habe.
Demokratie bedeutet noch nicht Rechtsstaat
Beim Stichwort spanische Folterkeller kommt einem zuerst die Militärdiktatur unter Francisco Franco in den Sinn. Diese hatte lange genug Bestand, wurde aber nach Francos Tod 1975 von der Demokratie abgelöst.
Doch die Foltervorwürfe gegen Spanien sind von neuerem Datum und stehen im Kontext der langjährigen Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeit des Baskenlandes. Eine von der baskischen Regionalregierung in Auftrag gegebene Untersuchung bestätigt, dass zwischen 1960 und 2013 mehr als 4000 Fälle von Folter bewiesen sind. Menschenrechtsorganisationen zufolge ist die Zahl jedoch noch höher: Sie sprechen von 7000 Fällen alleine seit dem Übergang zur Demokratie. Noch letztes Jahr empfahl der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, dass Spanien die Anstrengungen zur Verhinderung von Folter und Misshandlungen in Haft auf allen Ebenen verstärken solle. Zuvor haben bereits die UNO-Sonderberichterstatter für Folter und der Sonderberichterstatter für Menschenrechte bei der Bekämpfung von Terrorismus die massive Anwendung der Incommunicado, eine spezielle Form der Isolationshaft, und die dabei angewendete Folter kritisiert. Sie mahnten zur umgehenden unabhängigen Untersuchung der Foltervorwürfe und rügten die Anti-Terrorgesetze. Unter dem Ermittlungsrichter der Audiencia Nacional, Baltasar Garzón, wurde eine Rechtsinterpretation eingeführt, wonach sämtliche Organisationen, die sich nicht explizit von der terroristisch agierenden ETA distanzieren, ebenfalls als Terrororganisationen gelten.
Offenbar ist es leichter, freie Wahlen durchzuführen, als einen Rechtsstaat aufzubauen – gerade wenn ein Land mit Separationsbewegungen konfrontiert ist. Beim Übergang zur Demokratie hat Spanien nicht den gesamten Polizei- und Gerichtsapparat ausgewechselt. Die berüchtigte paramilitärische Polizeieinheit Guardia Civil, die unter Franco repressiv gegen die innere Opposition eingesetzt worden war, existierte weiter.
Die Schweiz muss sich positionieren
Einer der von der baskischen Regierung dokumentierten Fälle ist der von Nekane Txapartegi. Sie war in ihrem Heimatdorf Gemeinderätin für die linksgerichtete baskische Partei Herri Batasuna und wurde 1999 von der Guardia Civil verhaftet und in absoluter Isolationshaft fünf Tage lang verhört. Nach eigenen Aussagen wurde sie während dieser Zeit massiv gefoltert und zu einem Geständnis gezwungen: Bereits auf dem Weg nach Madrid habe man ihr einen Plastiksack über den Kopf gezogen und in einem Wald ihre Exekution simuliert. Auf dem Kommissariat sei sie anschliessend nackt ausgezogen, sexuell belästigt, geschlagen und vergewaltigt worden. Dazu habe sie kaum schlafen dürfen. Ein ärztliches Gutachten über ihre physische Verfassung nach dem Übertritt ins ordentliche Gefängnis sowie ein Mithäftling, der die Schreie gehört haben will, stützen die Aussagen. Ein psychologischer Bericht aus Zürich attestiert ihr noch heute eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Anzeige gegen ihre Peiniger wurde, wie nicht unüblich bei solchen Anschuldigungen, immer wieder verschleppt und später fallengelassen. Stattdessen durften die mutmasslich folternden Polizisten später gegen Txapartegi aussagen.
Im Zuge des sogenannten Makro-Prozesses 18/98 vor der Audiencia Nacional – der spanische Sondergerichtshof für Terrorismusfälle urteilte gleichzeitig über 47 Terrorismusbeschuldigte – wurde Txapartegi wegen Mitgliedschaft bei der ETA verurteilt. Obwohl die zweite Instanz nur noch von Terror-‹Unterstützung› sprach, wurde sie zu sechs Jahren Haft verurteilt. Sowohl vor dem Untersuchungsrichter wie auch dem Haftrichter hat sie stets beteuert, ihr Geständnis unter Folter abgegeben zu haben. Die weiteren belastenden Aussagen in der Anklageschrift stammen von Mitbeschuldigten, die ebenfalls von Folter sprechen. Wegen des zu erwartenden politischen Urteils floh Nekane Txapartegi bereits vor der Urteilsverkündung aus dem Land.
Nachdem sie sieben Jahre lang als Sans-Papier im Exil in Zürich gelebt hatte, haben die spanischen Behörden offenbar ihren Aufenthaltsort ausfindig machen können und stellten ein Auslieferungsgesuch. Die 43-jährige Baskin wurde in der Folge am 6. April dieses Jahres verhaftet und befindet sich zurzeit im Gefängnis Dielsdorf. Weil sie einen Asylantrag gestellt hat, muss sich neben der Justiz nun auch das Staatssekretariat für Migration zum Fall äussern.
«Alle Hinweise werden geprüft»
In der Antwort auf die Fragen von Balthasar Glättli schreibt der Bundesrat, dass die Schweizer Rechtshilfebehörden dazu verpflichtet seien, jedem Folterhinweis nachzugehen. Darunter falle auch der Bericht der baskischen Regierung. Auch die Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzung des Folterverbots seien bekannt – trotzdem gelte Spanien nach Schweizer Rechtssprechung als Rechtsstaat, weshalb Personen grundsätzlich ohne spezielle Zusicherungen ausgeliefert würden. In jedem Einzelfall werde aber geprüft, ob im ausländischen Strafverfahren die Grundrechte missachtet worden seien. In einem solchen Fall werde die Rechtshilfe verweigert oder nur unter Garantien bewilligt. Bisher seien aber für Spanien keine Fälle von Personen bekannt, deren Grundrechte nach einer Auslieferung durch die Schweiz verletzt worden seien.
Dass der Bundesrat die Prüfung jedes Einzelfalles hochhält und die Existenz der Folterberichte und Verurteilungen zur Kenntnis nehmen musste, könnte für Nekane Txapartegi ein leicht positives Signal sein. Wenn die Schweiz das Auslieferungsgesuch mit Verweis auf mögliche Folter ablehnen würde, wäre sie damit übrigens nicht allein: Bereits Belgien hat die Auslieferung einer Baskin aus ähnlichen Gründen verweigert.
Eine Solidaritätsgruppe macht sich stark für die Freilassung von Nekane Txapartegi. Am 24. September findet dafür in Bern eine Demonstration statt.
Weitere Infos: freenekane.ch