Junge Welt: Ein angekündigter Tod

— Über die Haftbedingungen in Spanien —

Vor einer Woche starb der baskische politische Gefangene Kepa del Hoyo. Unmenschliche Bedingungen in spanischen Knästen

Von Eneko Compains, Bilbo
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Amnestie gefordert: Demonstration für die Freilassung der politischen Gefangenen am 17. April 2016 in Bilbo

Unser Autor lehrt an der Universität des Baskenlandes in Bilbo (Bilbao) und gehört dem Vorstand der Linkspartei Sortu an

Eines der bekanntesten Werke des genialen kolumbianischen Schriftstellers Gabriel García Márquez heißt »Chronik eines angekündigten Todes«. Das Buch fesselt den Leser bis zum Schluss, obwohl der Ausgang der Geschichte von der ersten Zeile an bekannt ist – Santiago Nasar, die Hauptfigur, wird ermordet. An diesen Roman erinnert, was mit Kepa del Hoyo geschehen ist, einem baskischen politischen Gefangenen. Die spanische Nachrichtenagentur EFE meldete am 31. Juli: »ETA-Mitglied Kepa del Hoyo im Gefängnis von Badajoz an einem Herzinfarkt gestorben«. Die Rede ist von einem natürlichen Tod, und mit keiner Silbe wird auf die Haftbedingungen eingegangen, denen del Hoyo in den vergangenen 19 Jahren ausgesetzt war.Seit 1989 wenden die Regierungen Spaniens und Frankreichs auf das Kollektiv der baskischen politischen Gefangenen Haftbedingungen an, die man als Ausrottungspolitik bezeichnen kann. Ihr Hauptziel ist, nach dem alten römischen Motto »Teile und Herrsche«, die Einheit der Inhaftierten zu brechen.

Die baskischen politischen Gefangenen leben in der Haft unter extremen Bedingungen. Während noch in den 80er Jahren die meisten von ihnen in einigen wenigen Haftanstalten festgehalten wurden, die mehr oder weniger nahe am Baskenland lagen – wodurch ihnen der direkte Kontakt mit Genossinnen und Genossen sowie mit ihren Familienangehörigen ermöglicht wurde –, änderte sich das ab 1989. Die übergroße Mehrheit der Gefangenen wurde auf praktisch alle Gefängnisse Spaniens und Frankreichs verteilt, Hunderte oder sogar Tausende Kilometer von ihrer baskischen Heimat entfernt. Dieser Zustand dauert bis heute an. Das Ziel ist, die Inhaftierten soweit wie möglich von ihrem gesellschaftlichen Umfeld zu isolieren und sie auf diese Weise zu demoralisieren. Bestraft werden so auch Familienangehörige und Freunde, die jedes Wochenende lange Reisen auf sich nehmen müssen, um Besuche von 40 Minuten Dauer durchführen zu können.

Ein Großteil der aktuell 327 Gefangenen verbüßt praktisch lebenslange Haftstrafen, weil sie bis zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Praktisch alle Mitglieder des Kollektivs wurden als Gefangene »ersten Grades« eingestuft, was für sie mindestens 20 Stunden am Tag Einschluss in der Zelle bedeutet. Sie sind über Jahrzehnte extremer Überwachung und Zensur aller Besuche sowie ihrer gesamten telefonischen oder schriftlichen Kommunikation ausgesetzt. Die Haltung der Vollzugsbeamten ihnen gegenüber ist feindselig und angespannt, immer wieder werden Schläge und Misshandlungen angeprangert.

Diese extremen Bedingungen haben zum frühzeitigen Tod des gerade erst 46 Jahre alten Kepa del Hoyo geführt. Natürliche Ursache? Ja, denn wenn jemand über Jahre einem so harten Regime ausgesetzt ist, ist Sterben nur natürlich. Kepa hinterlässt eine Frau und einen 20jährigen Sohn. Insgesamt sind bereits zwei Dutzend Menschen im Gefängnis oder nach ihrer Entlassung an den Folgen der Haft gestorben. 16 Angehörige kamen ums Leben, als sie auf der Reise waren, um ihre Lieben zu besuchen. Niemand von ihnen wird offiziell als Opfer des baskischen Konflikts anerkannt.

Trotzdem hat die Politik des »Teile und Herrsche« ihr Ziel nicht erreicht. Das Kollektiv der Gefangenen präsentiert sich nach wie vor vereint. Und in Euskal Herria, im Baskenland, ist die Strategie von Madrid und Paris politisch, institutionell und gesellschaftlich gescheitert. Alle Parteien außer der postfranquistischen PP von Ministerpräsident Mariano Rajoy lehnen die unmenschliche und sinnlose Gefängnispolitik an. Alle Institutionen des Landes – beide Regierungen und autonomen Parlamente in Spanien und das Pays Basque in Frankreich – fordern eine Überführung der Gefängnisverwaltung in ihre Verantwortung. Und die baskische Gesellschaft lehnt die Politik gegen die Gefangenen entschieden ab und demonstriert das Jahr für Jahr mit Hunderttausenden Menschen auf den größten Demonstrationen, die es in unserem kleinen Land gibt.

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