Tsüri: Schweiz will Nekane ausliefern

Das Unerwartete ist eingetroffen: Die baskische Aktivistin habe kein Recht auf Asyl in der Schweiz und soll ausgeliefert werden – trotz Foltervorwürfen. Ein Update. (Alex Kamber, 08. April 2017)

Ein Jahr sitzt die baskische Aktivistin Nekane Txapartegi nun im Gefängnis in Zürich. Die spanische Justiz warf ihr vor über fünfzehn Jahren vor, die Separatistenorganisation ETA zu unterstützen und verhaftete sie im Jahr 1999. Dieser Vorwurf basiert dabei auf fragwürdiger Grundlage: Nach Nekanes Aussage ist sie im Anschluss an die Verhaftung von den spanischen Beamten gefoltert und vergewaltigt worden, weswegen auch ihre Geständnisse, die unter dieser Folter zustande gekommen sind, nicht zulässig seien, wie Tsüri bereits berichtete. Im Jahr 2007 gelang ihr die Flucht aus Spanien, das von der Schweiz nun seit einem Jahr die Auslieferung fordert.

Der Fall Nekanes hat nach einigen Anlaufschwierigkeiten dann doch Einzug in die Schweizer Medienlandschaft gefunden und zu einer breiten Empörungswelle und zahlreichen Protestkundgebungen geführt. Die Sterne standen allgemein recht gut: Es sei nur eine Frage der Zeit und etwas diplomatische Vorsicht geboten, dann würde das Asylgesuch der Baskin bewilligt und die Auslieferung verweigert werden. Alles andere wäre abwegig. Oder?

Foltervorwürfe offiziell beglaubigt

Einer der Hauptgründe für die allgemeine Zuversicht waren die sog. «Istanbul-Protokolle», die dem BJ im Januar 2017 vorgelegt worden sind. Es handelt sich dabei um den Standard der UNO, um die Glaubwürdigkeit von Foltervorwürfen zu beurteilen. Zwei international renommierte Experten sind nach der Durchführung des Gutachtens zum Schluss gekommen, dass Nekane im Jahr 1999 gefoltert wurde. Neben medizinischen und psychiatrischen Untersuchungen, wurden auch Zeugenaussagen und medizinische Berichte aus dem Jahr 1999 berücksichtigt, die von mehreren Blutergüssen und Verletzungen zeugen.

Die Schweiz scheint das Istanbul-Protokoll bisher zu ignorieren. An der Pressekonferenz vom 6. April äussert Nekanes Anwaltschaft harsche Kritik. Beide Entscheide (Asylentscheid und Auslieferungsentscheid) gingen nicht richtig auf die Dokumente ein, erwähnten sie kaum und begründen dies mit vagen Vorwürfen: Das Bundesamt für Justiz unterstellt dem Protokoll Ungenauigkeit und auch das SEM (Staatssekretariat für Migration) würdigt das Gutachten nicht, die Resultate wurden als subjektive Meinungsäusserungen abgetan. Statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung wurde auf Übersetzungsprobleme hingewiesen, welche die Neutralität des Schreibens anzweifeln sollten. Stephanie Motz, zuständig für das Asylverfahren, zu dem Entscheid: «Die Argumentation erweckt den Eindruck, dass das SEM nicht wirklich versteht, um was es bei dem Istanbul-Protokoll geht. (…) Sämtliche Vorwürfe, dass Unstimmigkeiten vorhanden seien, können vollumfänglich widerlegt werden.»

Spanien ist (k)ein sicherer Herkunftsstaat

Spanien gilt offiziell als «sicherer Herkunftsstaat». Nekanes Verteidigung betont den hohen Stellenwert dieser Bezeichnung, die erheblichen Einfluss auf asylrechtliche Entscheide hat. Dieser Stempel des sicheren Landes scheint eine unvoreingenommene und neutrale Untersuchung des Sachverhalts zu verhindern. Olivier Peter, Nekanes Rechtsanwalt, verweist auf die Tatsache, dass zwischen 1979 und 2003 insgesamt 49 spanische Beamte rechtlich verurteilt worden sind, weil sie vermeintliche ETA-Unterstützer_innen gefoltert hatten. Peter betont, dass auch diese Verurteilungen nichts an dem Gütesiegel des «sicheren Herkunftsstaats» geändert haben, und enttarnt so diese offizielle Bezeichnung als blosse Hülle. Rolf Zopfi, Sprecher der Menschenrechtsorganisation «augenauf», teilt diese Ansicht: «Das Problem liegt bei der fehlenden Infragestellung. Die Behörden sind nicht zu einer neutraler Beurteilung imstande.»

Es sei mehr die fehlende Kritikfähigkeit der Behörden, als die Angst vor einer diplomatischen Krise, welche die Schweiz dazu bewege, Nekane Asyl zu verweigern und sie an Spanien auszuliefern. Auf jeden Fall handelt es sich um einen sehr undurchsichtigen Fall, bei dem die Gründe nicht eindeutig scheinen: Nekanes Anwaltschaft verweist auf den Präzedenzfall aus dem Jahr 2013, als Belgien die Auslieferung einer vermeintlichen ETA-Unterstützerin an Spanien verweigert hat – ohne dabei schwerwiegende diplomatische Folgen zu verursachen. Wenn die Beweggründe nicht diplomatischer Natur sind, liegt das Problem möglicherweise auf einer grundsätzlicheren Ebene – bei der Haltung und Arbeitsweise der Schweizer Justiz.

Verteidigung bleibt optimistisch

Auf die Frage, ob Stephanie Motz und Olivier Peter nach wie vor mit einem positiven Ausgang des Falles rechnen, nicken beide kräftig und beteuern ihre Zuversicht. Die Entscheide des BJ und des SEM seien zwar Niederlagen, aber der Fall deswegen noch lange nicht vom Tisch. Im Auslieferungsverfahren geht die Beschwerde ans Bundesstrafgericht und im Asylverfahren ans Bundesverwaltungsgericht. Danach besteht noch die Möglichkeit einer Weiterleitung ans Bundesgericht. Wenn auch dies nicht zu einem besseren Entscheid führt, wird man sich an internationale Instanzen wenden müssen wie an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Dieser Zwiespalt zwischen Unverständnis einerseits und einer optimistischen Haltung andererseits spiegelte sich auch während der Demonstration am 6. April wider, dem Jahrestag der Inhaftierung Nekanes. Rund 500 Menschen haben sich dem Demonstrationszug in der Zürcher Innenstadt angeschlossen und lautstark ihren Protest bekundet. Auch in anderen Städten wie Genf, Bern und Luzern wurde öffentlich Solidarität mit Nekane gezeigt. Aber auch international gewinnt der Fall an Aufmerksamkeit: Bilder von Protestaktionen und Plakaten zeugen von Sympathisant_innen in Berlin, Bilbao, Rom, San Francisco und weiteren Städten.

Die Tendenz ist dabei steigend, denn es sind langwierige Prozesse, in die der Fall eingebettet ist. Nekane ist mittlerweile 44 Jahre alt und Mutter einer Tochter. Während der Zeit, die der Fall noch beanspruchen wird, wird sie wohl oder übel im Gefängnis ausharren müssen. Auf dieser Ebene scheint die Zeit still zu stehen. Und wie lange wird es in etwa dauern, bis der Fall entschieden ist und Nekane das Gefängnis nach positivem Ausgang wieder verlassen kann? Das wisse niemand so recht.