Le Courier: Nekane Txapartegi: «Pourquoi m’ont-ils fait ça?» (inkl. Übersetzung)

Interview mit Nekane im Le Courrier, auf die Schnelle übersetzt:

Nekane Txapartegi: “Warum haben sie mir das angetan?”

Originalartikel: https://lecourrier.ch/2020/02/06/nekane-txapartegi-pourquoi-mont-ils-fait-ca/

Von Michelle Langrand.
Die baskische Aktivistin Nekane Txapartegi ist erneut Ziel eines Auslieferungsgesuchs Spaniens, obwohl sie von der Guardia Civil gefoltert wurde.

“Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen ist eine Demonstration zu Ehren einer Person aus meinem Dorf, die gefoltert und ermordet worden war. Ich verstand damals die schwere Bedeutung des Wortes «Folter» noch nicht, ob welchem sich die Augen meiner Eltern vor Schreck weiteten – und noch viel weniger ahnte ich, dass ich selbst eines Tages gefoltert werden würde.” Nekane Txapartegi geht nicht ins Detail. Zu oft schon musste sie von den Folterungen und Vergewaltigungen berichten, die sie während ihrer Inhaftierung 1999 durch die spanische Guardia Civil erlitt, die sie der Mitgliedschaft in der baskischen Separatistenbewegung ETA verdächtigte.

Die ehemalige Stadträtin der linken Unabhängigkeitspartei Herri Batasuna wurde 2007 von der spanischen Justiz zu 11 Jahren und 11 Monaten Gefängnis verurteilt (die Strafe wurde später auf sechs Jahre und neun Monate, dann auf drei Jahre und sechs Monate reduziert). 2016 wurde sie in Zürich verhaftet. Trotz der Mobilisierung von NGOs und des UNO-Sonderberichterstatters für Folter, Nils Melzer, bewilligte Bern ihre Auslieferung. Der Auslieferungsantrag wurde später von den spanischen Behörden der Verjährung der Strafe zurückgezogen.

Nach 17 Monaten Gefängnis wird die Aktivistin im September 2017 freigelassen. Danach begann sie beim alternativen Radiosender LoRa in Zürich zu arbeiten, wo sie sich mit ganzer Kraft der feministischen Sache widmet. Während sie ihren Rechtsstreit für beendet hielt, präsentierten die spanischen Gerichte im vergangenen Jahr neue Anklagepunkte.

Wie ist Ihre rechtliche Situation?

Nekane Txapartegi: Ich könnte jeden Moment verhaftet werden. Ich wurde ohne jegliche offizielle Anerkennung der Schweiz aus der Auslieferungshaft entlassen, ohne Anerkennung der erlittenen Folter und ohne Asylstatus. Die Verfolgung gegen mich wegen meiner Ideen und meines politischen Engagements ist mit dem Beginn eines neuen Prozesses wiederaufgenommen worden. Und der Schweizer Staat hat sich, anstatt gegen diese politische Verfolgung Stellung zu beziehen, bisher entschieden, mit den spanischen Behörden zusammenzuarbeiten.

Zwei Experten haben bestätigt, dass Sie gefoltert wurden. Wie erklären Sie die Haltung der Schweiz?

Bei Verdacht auf Folter ist die Schweiz verpflichtet, das Istanbul-Protokoll anzuwenden, wonach sich die Person einer körperlichen Untersuchung zu unterziehen und die Dokumente in der Akte zu analysieren sind. Die Justiz hat sich geweigert, dies zu tun, da dies noch nie zuvor geschehen ist. Also stellte mein Anwalt den Antrag, und zwei Experten kamen zu dem Schluss, dass meine Symptome von der Folter herrühren. Wenn die Schweizer Justiz diese Expertise nicht berücksichtigt, dann deshalb, weil man auf diese Weise darauf hinweist, dass ein europäisches Land systematisch Folter praktiziert hat. Am Ende erkannten die Richter an, dass meine Behauptungen glaubwürdig waren, aber da Spanien den Prozess beendete, brauchte es nicht zu entscheiden. Dieser neue Prozess könnte sie durchaus zu einer Entscheidung zwingen.

Sie haben sich sehr aktiv am Frauenstreik vom 14. Juni beteiligt. Sehen Sie Verknüpfungen zwischen dem baskischen Unabhängigkeitskampf und dem feministischen Kampf?

Mein Kampf war immer feministisch und kollektiv. Als Baskin und als Arbeiterin der baskischen Arbeiter*innenklasse habe ich immer unter mehrfacher Diskriminierung gelitten. Mal habe ich mich damit abgefunden, mal habe dagegen angekämpft. Dasselbe geschah, als ich inhaftiert war. Das Radio war ein wichtiges Instrument, das es mir ermöglicht hat, die Mauern der Isolation zu durchbrechen und weiterhin Teil des Kampfes draussen zu sein. Es war für mich völlig klar, dass ich an diesem historischen Moment für die feministische Bewegung teilhaben wollte. Deshalb arbeite ich jetzt auch beim Radio LoRa. Nachdem ich so viele Jahre im Verborgenen verbracht habe, ohne mich ausdrücken zu können, war dies eine Gelegenheit, zu zeigen, dass dieser Kampf auch meiner ist. Ich wollte auch den Feministinnen, die mich im Gefängnis unterstützt haben, ein Gesicht geben.

Was erwarten Sie von der Schweizer Justiz?

Ich möchte, dass es eine Anerkennung gibt, damit einerseits dieses Kapitel abgeschlossen werden kann und andererseits im historischen Gedächtnis festgehalten wird, dass der spanische Staat die Folter als Kriegsinstrument gegen baskische Bürger eingesetzt hat. Sonst werden wir nie vorwärtskommen.

Ich bin nicht gläubig, es geht mir nicht um Vergebung, aber ich verdiene es zu wissen, warum sie es getan haben. Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren, solange ich noch lebe. Auch künftige Generationen, wie meine Tochter, haben ein Recht auf dieses kollektive Gedächtnis.

Folter während der Untersuchungshaft: ein bekanntes Phänomen in Spanien
Folter in spanischen Gefängnissen ist ein Phänomen, über das regelmäßig vor UN-Gremien berichtet wird, das aber südlich der Pyrenäen nach wie vor tabu ist. Im Jahr 2010 brach jedoch die seltene Verurteilung von vier spanischen Zivilgardisten zu Haftstrafen zwischen zwei und viereinhalb Jahren wegen der Folterung von zwei Mitgliedern der baskischen Unabhängigkeitsorganisation ETA das Schweigen.
Im Jahr 2017 hatte der UN-Berichterstatter Nils Melzer versichert, dass Frau Txapartegi Opfer von Vergewaltigung, Schlägen, Erstickung, Elektroschocks, langem Schlafentzug und Scheinhinrichtungen geworden sei. Ein weiteres UN-Gremium, der Ausschuss gegen Folter, hat Madrid viermal verurteilt.

Neues Auslieferungsgesuch
Zu einer von der spanischen Staatsanwaltschaft in die Schweiz delegierten Anhörung nach Bern vorgeladen, erfährt Nekane Txapartegi im Mai 2019, dass ein neues Verfahren gegen sie eröffnet wurde. Diesmal, erklärt ihr Anwalt Olivier Peter, wird sie beschuldigt, auch während ihres Aufenthalts in der Schweiz Mitglied der ETA geblieben zu sein. “Der Vorwurf beruht noch immer auf unter Folter erlangten Geständnissen, die daher unbrauchbar sind”, sagt er.
Der Anwalt weist auch auf den “vagen” Charakter des Verfahrens hin. Zwischen der Ankündigung der Staatsanwaltschaft im Mai 2019, ein neues Auslieferungsersuchen zu stellen, und dessen Umsetzung Mitte November 2019 wurden die Anklagen wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation durch die Anklage wegen angeblicher Dokumentenfälschung ersetzt. Dieser Strategiewechsel erklärt sich seiner Meinung nach dadurch, dass die ersten Anklagen sich auf Handlungen beziehen, die angeblich auf Schweizer Territorium begangen wurden und für die die Schweizer Behörden, obwohl sie zuständig sind, es nie für sinnvoll gehalten haben, eine Untersuchung einzuleiten.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Schweizer Justiz zu einer Stellungnahme bewegen lässt. “Nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts, die die Glaubwürdigkeit der Foltervorwürfe anerkennen, sollte das Bundesgericht der Argumentation auf den Grund gehen und die Unzulässigkeit des Auslieferungsersuchens anerkennen”, analysiert Olivier Peter. Bislang haben weder der Anwalt noch sein Mandant Informationen erhalten, die darauf hindeuten würden, dass das Bundesamt für Justiz beschlossen hat, das neue spanische Ersuchen zu bearbeiten.